Solarenergie für Afrika

Konferenz in Düsseldorf vom 4.-6. September 2003

Interview mit Si Hersi aus Somalia

über sein Leben in Deutschland, seine Vergangenheit und die Situation in seinem Heimatland

Wie lange sind Sie schon in Deutschland und was gedenken Sie von hier aus für ihre Heimat zu tun?

Seit 1982 wohne ich hier. Ich bin eingebürgert. „Somalia und Deutschland“ ist mein Programm. Ich arbeite mit verschiedenen somalischen Gruppen und möchte mich bei euch über Solarenergietechnik informieren, um in Somalia Leute ausbilden zu können. Ich bin Schlossermeister. Die technische Seite ist einfacher für mich. Die politische Seite kann ich auch.

Haben Sie Ihre Ausbildung in Deutschland gemacht?

Ja, in der DDR. Ich bin 1968 dorthin gekommen. Ich bin jetzt 61 Jahre alt.
Ich bin damals als Delegationsleiter der somalischen Gewerkschaft in die DDR gekommen. Somalia war damals sozialistisch. Ich habe an einem Seminar teilgenommen. Und nach einem Jahr habe ich gesagt: Ich will eine Ausbildung. Ich bin dann in der DDR an landwirtschaftlichen Maschinen ausgebildet worden – als Schlossermeister.

Wie lange haben Sie für die somalische Gewerkschaft gearbeitet?

1973 war ich für 6 Monate war Sekretär der somalischen Gewerkschaft.

Was hatten Sie in Somalia für Aufgaben?

Ich habe das Analphabetentum bekämpft. 80% der Somali konnten weder schreiben noch lesen. Das war 1972-74. Ich habe Lehrer organisiert. Das habe ich als Gewerkschaftsführer organisiert. In diesen 2 Jahren habe ich jeden Tag nur 4 Stunden geschlafen.

Ich habe auch an einem Katastrophenprojekt teilgenommen. Ich habe sogar einer Stadt ihren Namen gegeben. Das war Kurtunwari. Das war die Stadt, wo ich 30 000 Leute umgesiedelt habe. Ich war zuständig für den Wohnungsbau und die Landwirtschaft.
Ich habe damals Probleme gehabt mit der Regierung. Ich war gegen die Regierung, aber das war unbekannt.

Diese Umsiedlung haben Sie aber für die Regierung gemacht.

Da habe ich für die Regierung gearbeitet. Aber später gab es Konflikte in der politischen Sache. Die Umsiedlung war von Nordsomalia nach Südsomalia. Wir haben die Leute aufgeteilt in 3 Gebiete. Ich habe einen Teil übernommen. Mein Teil waren 30 000 Leute. Sie hatten alles verloren. In ihrer Heimat hatte es 5 Jahre nicht geregnet. Sie hatten die Kamele, Schafe und Ziegen verloren. Die hatten kein Gras zu fressen gehabt und kein Wasser. Die Menschen sind damals auch gestorben. Das war 1975.

Von dort aus bin ich dann nach Rumänien gefahren, als politischer Gegner meiner Regierung. Jetzt haben wir die Regierung umgestürzt, das war 1993. Da war ich schon hier in Deutschland. Aber ich war auch von hier aus offiziell gegen die Regierung gewesen. Jetzt ist das Problem mit der Regierung weg – es gibt aber bis jetzt keine Regierung in Somalia. Seit 13 Jahren haben wir keine Regierung.

Ich bin ein Mitglied des Somali Union Congress. Das war die Rebellenorganisation. Sie haben sich in Europa gegründet. Ich bin Vorsitzender dieser Organisation in Deutschland im Finanz- und Rechtsausschuß. Aber seit dem Somalikonflikt gibt es keine offizielle Organisation. Es ist alles aufgesplittert. Aber ich versuche, meinem Land zu helfen. Ich will in einer Region anfangen, wo eine Million Menschen wohnen. Dort haben sie keinen Strom, keine Krankenhäuser, keine Schulen.

Zuerst möchte ich dort eine Stromversorgung mit Solartechnik aufbauen. Die deutsche Solarindustrie hat auch Interesse. Die brauchen Kunden – für immer. Wer zuerst anfängt, regiert die ganze Region - ökonomisch. Das ist das Interesse von Deutschland.

Wer übt die Macht in dieser Region aus?

Da gibt es viele verschiedene Gruppierungen. Es gibt ja keine Regierung, keine Polizei, keine Justiz, kein Militär.
Ich habe Kontakte zu einer Gruppe in Somalia, die die Mehrheit gegenüber anderen Gruppen besitzt. Und ich hoffe, daß wir gewinnen werden und die Regierung stellen werden. Ich vertrete die Bevölkerungsmehrheit. Das sind 70% der Bevölkerung. Das ist der Somali Union Congress.

Wir hoffen, daß wir die zukünftige Regierung stellen. Die Mehrheit sind wir. Der Sohn von Aidid ist Amerikaner - aber er ist jetzt für diese Organisation zuständig. Aidid selbst war 8 Jahre im Gefängnis. Wir hatten die Regierung damals gezwungen, ihn freizulassen.
Jetzt ist aber nicht die Zeit, über Politik zu diskutieren. Jetzt ist es Zeit, den Menschen zu helfen, die alles verloren haben. Ich will jetzt dorthin das Licht bringen, den Strom bringen.

Andere Organisationen werden auch in anderen Gebieten helfen – nicht ich allein. Vor Norwegen, von Schweden, von Italien, von England. Wir haben diese Probleme besprochen und ich bin für Deutschland zuständig - um Strom zu bringen. Das Projekt heißt Muduk-Development-Projekt. Muduk ist die Region.

Wie ist das Leben in Somalia?

Es gibt keine geregelte Bildung mehr. Es ist alles kaputt. Es ist eine Katastrophe.
Die Somali gehen ins Ausland, wenn sie können. In Uganda wird aber nun wahrscheinlich die neue Regierung für Somalia gebildet. Das ist die letzte Chance eine Regierung für Somalia zu bauen. In Kenia und Äthiopien wurde es schon probiert, aber ohne Erfolg.

Der Aufbau Somalias dauert Minimum 10 Jahre. Der Verwaltungsaufbau, die Polizei usw. Aber die Leute sterben jetzt schon - sie können nicht warten. Deshalb will ich jetzt anfangen.

Ich möchte in der Region Muduk und anderen Regionen herumreisen und von jeder Stadt den Bürgermeister und den Sheikh treffen. Sheikh ist der religiöse Führer. Wir werden dort Küchen für Arme bauen. Es wird eine monatliche Miete geben, die die Dörfer für die Solarenergietechnik bezahlen müssen. Das haben wir schon abgesprochen. Es gibt zwar eine Gruppe, die dagegen arbeitet, aber das interessiert uns jetzt nicht. Dazu möchte ich mich auch nicht weiter äußern.

Was sind die Sheikhs?

Das sind die Religionsführer.

Diese Region hat über eine Million Leute, die keinen Strom haben. Ich kann die deutsche Solartechnik nach Somalia bringen und dort verteilen. Ich gehe vom Zentrum aus und verteile das nach Norden und Süden.
Ich muß zu den Bürgermeistern fahren und mit ihnen einen Vertrag abschließen. Und ich weiß hundertprozentig, daß keiner ablehnen wird, weil, das in ihrem eigenen Interesse liegt. Die werden alle akzeptieren, weil wir die Mehrheit sind. Eine Regierung wird kommen. Bevor die Regierung kommt, will ich diesen Leuten helfen. Ich habe aber kein Geld.

Ich arbeite nicht mehr hier in Deutschland, ich bin in Rente. Ich habe aber jetzt diese Chance. Ich werde selbst nach Somalia fahren und werde viele Leute finden, die mich unterstützen werden. Ich will nach Somalia fahren um diese Sache vorzubereiten. Das Muduk-Development-Projekt ist eine karitative Organisation. Wir wollen nur helfen.

Gibt es NGO´s in Somalia oder einzelne Unternehmer?

Unser Projekt ist eine NGO. Es gibt auch viele Unternehmer in Somalia. Sie sind aber nicht organisiert. Es gibt keine Institutionen. Es ist alles durcheinander. Was es gibt, ist Armut.
Deswegen übergebe ich die Sache dem Sheikh. Dann geht es leichter. Die sollen eine Küche für Arme bauen. Und der Strom kommt aus Solarenergie. Jede Stadt soll ihre eigene Armenküche kriegen.

Wie wird bisher gekocht?

Wer in der Stadt wohnt, muß Holz kaufen. Es gibt aber kaum Holz. Weil die Bäume nicht wachsen. Das Holz zu kaufen kostet mehr als das Essen.

Wie sah Somalia vor 20 Jahren aus?

Das war eine andere Sache. Die Somalis haben viele Tiere gehabt. 70% der Bevölkerung waren Nomaden. Die haben Schafe und Ziegen, Pferde, alles. Und die liefen hinter der Herde. Das war ein anderes Leben. Aber jetzt gibt es immer noch viele Nomaden.

Haben Sie Kontakte zu anderen somalischen Organisationen, die von Deutschland aus arbeiten?

Nicht viel. Nur zu einigen Gruppen.

Haben Sie Kontakte zu offiziellen Stellen in Deutschland?

Ich habe 1998 an das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit geschrieben. Sie haben gesagt, sie können aus Sicherheitsgründen nicht ins Land kommen.

Ich möchte jetzt helfen, ohne zu warten. Deshalb möchte ich den Weg über die Sheikhs und Bürgermeister gehen. Das ist die einzige Lösung, bevor die Regierung gebildet ist. Jetzt ist noch jede Stadt für ihre eigene Sicherheit zuständig. Später wird das die Regierung übernehmen.

Wie hoch ist die Kriminalitätsrate in Somalia?

Die war schon früher sehr hoch. Wir hatten Staatsbeamte, Angestellte und Soldaten gehabt. Und jeder hat Minimum 5 Kinder. Aber jeder hatte so gut wie kein Einkommen. Und deshalb gab es schon immer Kriminalität.

Wir müssen jetzt von ganz unten anfangen. Jeder wird für seine eigene Sache zuständig sein. Und ich bin zuständig für die Kontrolle, wie die geplante Sache in Somalia funktioniert.
Es sterben Zehntausende, weil es keinen Strom gibt. Ich kann helfen, weil ich Techniker bin und lernen kann, wie Solartechnik funktioniert. Und dieses Wissen kann ich in Somalia weitergeben. Ich kann dort Leute ausbilden.

In Mogadischu gibt es ein Projekt. Da wurde Miete verlangt für Solaranlagen. Die wurden in Indien oder China gekauft. Es gibt auch private Solaranlagen aus Deutschland.
Wenn ich Bürgermeister bin oder Sheikh, dann machen die Leute, was ich sage. Dann kann ich den Leuten Kredit geben. Die Leute haben etwas Geld. Einige können Miete bezahlen.
Das soll die Grundbasis für jede Stadt werden, damit sie mit Strom versorgt werden.

Kennt man sie noch in Somalia?

Ich bin als Person bekannt in Somalia. Weil ich damals bei meiner Arbeit auch die Probleme der Bevölkerung erkannte, nicht nur die Probleme der Regierung. Dafür habe ich auch 2 Medaillen bekommen. Eine für die Alphabetisierungskampagne und die andere für die Umsiedlung.

1972 –74 haben wir den Alphabetisierungskampagne angefangen. Wir sagten: Wer nicht schreiben kann, muß lernen und wer schreiben kann, muß lehren.
80% der Leute waren Analphabeten, 20% konnten schreiben und lesen. Danach konnten 80% schreiben und lesen und nur 20% waren noch Analphabeten.
Auch die meisten Frauen waren Analphabeten. In der dritten Welt sind Frauen zu 80% Analphabeten. Das ist Religions- oder Kultursache.

Gibt es in Somalia Frauenorganisationen?

Ja, es gibt in Somalia viele Organisationen. Jetzt gibt es Probleme wegen der Beschneidung. Ich kenne zwei Frauen, die Bücher darüber geschrieben haben. Aber ich bin nicht damit einverstanden, wie sie das interpretiert haben. Ich bin gegen Beschneidung, aber diese Frauen haben das übertrieben dargestellt.

Ich bin von Natur aus gegen Beschneidung. Als meine Schwester beschnitten wurde, hat sie geschrien. Dann habe ich mit einem Stück Holz auf die Frau eingeschlagen, die das ausgeführt hat. Ich war 6 Jahre alt. Drei oder vier Frauen hielten das Mädchen, damit sie sich nicht wehren kann.

Ich habe später auch in einem Projekt mitgeholfen, gegen die Beschneidung zu kämpfen. Aber wir hatten keinen Erfolg. Wir haben aber auf anderen Gebieten Fortschritte gemacht.

Auf welchem Gebiet?

Im Gebiet der Gleichberechtigung der Frau. Nur eine gleichberechtigte Frau kann arbeiten wie ein Mann. Das haben wir erreicht. Aber wir konnten nichts gegen die Beschneidung tun.

Wie wird in Somalia Landwirtschaft betrieben?

Ich habe auch Erfahrung in der Landwirtschaft, durch die Umsiedlung der 30 000 Menschen. Ich hatte 130 Traktoren gehabt. Es waren russische Traktoren, italienische Traktoren. Später hat die DDR auch Traktoren geschickt. Aber da war ich schon weg.

Was wurde auf den Feldern angepflanzt?

Dafür war ich nicht zuständig. Ich musste das Land freimachen von Bäumen. Bäume schneiden und Holz besorgen für das Kochen. Es wurde auf den Feldern Mais und Kartoffeln angepflanzt.

Aber es gab auch Konflikte. Die Leute waren Nomaden gewesen, Kamel- und Schaftreiber. Ich habe die Nomaden Traktoren fahren lassen. Und die Frauen haben Essen gemacht. Das war zu meiner Zeit. Und niemand hat eine Intervention gemacht. Die Nomaden habe gesehen, daß ihre Zukunft so besser ist. Und das hat funktioniert.

Das Wasser kam aus dem Fluß. Er hat 6 Monate Wasser, und ist 6 Monate trocken. Während der 6 Monate konnten wir Wasser aus dem Fluß auf die Felder pumpen. 6 Monate wächst die Pflanze. Aber die Leute waren das ganze Jahr über beschäftigt. Und sie haben das akzeptiert. Das war 1974-75.

Ich habe Wohnungen gebaut, mich um die Landwirtschaft, die Küche und das Essen gekümmert. Tagsüber musste ich organisieren, nachts waren die Versammlungen, wo besprochen wurde, was wir am nächsten Tag machen.

Damals hatten wir Studenten aus Kenia, Tansania und Sudan als Hilfe bekommen. Wegen dieser Katastrophe. Die Studenten haben mitgeholfen, die Wohnungen zu bauen. Für die 30 000 Leute, die keine Wohnung hatten. Sie hatten nur Zelte.
Dann hat die Regierung aber zu mir gesagt: Du musst machen, was wir wollen, nicht machen, was du willst. Nach ein paar Tagen bin ich dann weggelaufen.

Wo lag der Konflikt?

Die Regierung hat sich nur dafür interessiert, welche ethnischen Gruppen beteiligt sind. Die haben die Stämme getrennt.

Gab es denn Konflikte zwischen den Gruppen?

Das war nur eine Vorgabe von der Regierung und hatte keinen Grund. Somalia ist doch ein leeres Land. In Somalia leben durchschnittlich 6 Personen auf einem Quadratkilometer. Alle hundert Kilometer siehst du in Somalia einen Mann mit einem Kamel oder Schaf.

Gibt es in Somalia Strom oder benutzen die Leute Petroleumlampen?

Selbst in den großen Städten, wo Zehntausende leben, haben sie keinen Strom. Man benutzt diese Petroleumlampen. Zum Kochen nimmt man Holz.

Haben die Nomaden auch Lagerplätze, wo sie länger bleiben?

Ja, sie bleiben auch auf Lagerplätzen. Sie haben transportablem Zelte. Die Kamele tragen das.
Ich bin selber Nomade. 1950 hatten wir ungefähr 200 Kamele und Kühe und 500 Schafe. Weil es nicht geregnet hat, haben wir aber alles verloren.

Wie groß war ihre Gruppe?

Das war eine Familie von 10 Leuten. Ich war der Jüngste. Unser Besitz ist verloren. Ich sehe vor meinen Augen jetzt die 600 Schafe. Wir sind dorthin gelaufen, wo es geregnet hat. Wir konnten die Schafe oder Ziegen nicht tragen. Viele Tiere haben das Ziel nicht erreicht. Die waren so schwach.

Deshalb bin ich in die Stadt gekommen und sesshaft geworden. Da war ich 8 Jahre alt. Meine Geschwister haben dann geheiratet und die ganze Familie wurde geteilt. Meine Mutter war geschieden von meinem Vater und bei einem anderen Mann. Inzwischen habe ich aber wieder Verbindung zu meinen Geschwistern.

Ich habe dann beschlossen, nicht mehr zurückzukehren zum Nomadentum. In der Stadt hatte ich Hilfe von Verwandten bekommen. Und ich habe mir selber geholfen. Ich habe tagsüber gearbeitet und nachts gelernt.

Wir waren eine italienische Kolonie. Alle haben italienisch gesprochen, keiner englisch. Da habe ich als Kind beschlossen, daß ich englisch lerne. Damit ich später Arbeit finden konnte – so dachte ich. Deswegen bin ich in dann auch die DDR geschickt worden. In den Seminaren wurde nur englisch gesprochen. Mit 26 Jahren bin ich in die DDR gekommen. Als Delegationsleiter.

Glauben Sie an eine bessere Zukunft für Somalia?

Ja, das ist mir 100% klar. Somalia ist reich. Wir haben Petrol, wir haben Gas, wir haben Uranium. Wir haben Fisch. Wir haben die längste Küste Afrikas, 2600 km Strand.

Ganz Somalia könnte vom Fisch leben. Aber das tun wir nicht. Wer Fisch isst, ist in unserer Kultur der Ärmste von den Armen. Die Leute schämen sich, Fisch zu essen. Wer Fisch isst, hat gar nichts. So heißt es. Als ich in die DDR kam, habe ich zum ersten Mal Fisch gegessen.
Inzwischen essen die Leute Fisch. Aber früher war die Kultur so. Ich habe früher auch keinen Fisch gegessen, sondern bin lieber hungrig ins Bett gegangen. Weil ich mich schämte, Fisch zu essen. Das ist die Nomadenkultur.

Bei uns wird ein Schaf geschlachtet und sofort gegessen. Nicht am nächsten Tag. Das muß gleich verteilt werden. Es gibt keine Konservierung. Und wer keine Tiere hat, isst Fisch. Das ist Scham.

Gibt es auch ethnische Konflikte in Somalia?

Was wir jetzt haben, ist Kulturtransfer von arabischer Kultur zur somalischen Kultur. Den Schleier für Frauen gab es früher nicht. Diese Sache bringt Schwierigkeiten.

In der nomadischen Kultur muß die Frau Rastahaare haben, bis sie verheiratet ist. Das ist die Kultur in Somalia gewesen. Eine Frau mit Rastahaare ist frei, die kann man heiraten. Danach muß sie ein Tuch tragen. Jede einmal verheiratete Frau trägt ein Tuch.
Jetzt ist es anders. Die arabische Kultur verlangt die Verschleierung. Ich bin Muslim, aber ich bin gegen diese Verschleierung.

Wie hat sich das Leben der Nomaden verändert?

Heute leben die Nomaden in Verbindung mit der Stadt. Sie verkaufen Tiere, nehmen alles von der Stadt, den Zucker, das Essen. Man kann nicht jeden Tag schlachten. Das ist teuer, weil das Fleisch kaputt geht. Die Tiere werden in der Stadt verkauft und davon wird 2 Monate gegessen. Man verkauft Schafe oder Kamele. Das Leben ist nicht mehr wie früher.

Gibt es genügend Wasser in Somalia?

Wenn es länger nicht regnet, geht das Wasser tief runter. Manchmal 50 Meter. Deshalb gibt es Probleme. Die Nomaden müssen die Brunnen selber machen. Jetzt gibt es Maschinen dafür. Aber früher gab es keine Maschinen. Wir mussten selber bohren.

Was ist Ihnen in Deutschland am Anfang aufgefallen?

Ich kam vom Nomadentum zu den höchsten zivilisierten Menschen. So können Sie schätzen, wie die Sache war. Ich bin vom Nomaden bis zum höchsten Gewerkschaftsführer gekommen. Die Leute, die damals mit mir in die DDR kamen, waren zum Teil 40 Jahre in der Gewerkschaft. Das waren zum Teil Abgeordnete. Die haben z.B. auch 1973 die Opposition gegen Pinochet in Somalia organisiert.

Zum Beispiel gibt es hier die Rente. In Somalia sind es die Kinder. Ich habe in der Verwandtschaft einen Mann, der ist jetzt der Älteste. Er ist 106 Jahre alt. Er hat 55 Kinder, 36 Kinder leben noch, 19 Kinder sind gestorben. Er hatte 4 Frauen, schon immer, seit 15. Die Frauen sind geschenkt worden. Er war reich, er war ein religiöser Politiker. Seine Arbeit war es, Kinder zu produzieren und die Religion zu lehren. Und er lebt noch. Er ist fast blind jetzt, und predigt noch – ohne Buch. Wenn es Konflikte gibt, gehen die Leute zu ihm.

Ihm wurden immer Geschenke gemacht. Wenn jemand anfangen wollte, den Koran zu lernen, hat er ihm ein Schaf oder ein Kamel gebracht. Er war ein Lehrer, er hatte eine Koranschule. Man bringt dem Lehrer ein Geschenk.

Was er sagt, akzeptieren alle. Ich will ihm jetzt eine Brille schicken, aber ich weiß nicht, welche. 1965 habe ich ihn das letzte Mal gesehen. Er ist jetzt nach Mogadishu gebracht worden. Er kann nicht mehr laufen wie früher. Sie haben ihm dort eine Wohnung gebaut.

Es gibt viele Nomaden, die bei ihm gelernt haben und in der Stadt gibt es viele, die bei ihm gelernt haben. Alle kennen ihn. Die Reichen müssen einmal im Jahr ein Teil ihres Einkommens als Steuer geben. Davon bekommt er auch. Er bekommt das als Geschenk von den Leuten, die bei ihm gelernt haben. Die Leute akzeptieren das und beten auch für ihn. Das ist Nomadenkultur.

Aber Nomade zu sein, bedeutet Scham. Du kannst keinem sagen, du bist Nomade. Mein großer Bruder ist Sheikh einer Stadt. Er ist Nomade. Aber er hat gelernt. Früher gab es keine gelernten Nomaden. Jetzt gibt es Schulen für Nomaden. Während 6 Monate im Jahr machen sie Schule. Sie bezahlen die Lehrer. Die Kinder lernen auch im Busch. Das ist elementar.

Sind die Nomaden gläubige Muslime?

Es gibt gläubige Nomaden, aber das ist selten. Die haben keine Zeit, den Koran zu lernen. Die müssen mit den Tieren wandern. Für die Nomaden gibt es keine Grenze. Sie sind 6 Monate in Somalia und 6 Monate in Äthiopien. Die können überall hin.

Die haben ihre eigenen Regeln, ihre eigene Regierung. Keine Stadt kann Intervention machen.
Es gibt aber Unterschiede zwischen den Nomaden der Vergangenheit und den Nomaden heute. Die Nomaden heute verkaufen Kleidung, Nahrungsmittel und alles andere, außer Medikamente. Sie haben alles auf dem Kamel. Milch haben sie von ihren Schafen.

Die Geschäftsleute laufen mit ihren Kamelen dorthin, wo es geregnet hat. Alle laufen dorthin, wo es geregnet hat. In meiner Jugend hatte es 5 Jahre nicht geregnet. Dann sind wir 200 km gelaufen, wo es geregnet hatte. Die Tiere konnten nicht mehr laufen. Wir müssten sie liegen lassen.

Und wenn der Regen schon wieder woanders ist, wenn man ankommt?

Wenn man ankommt, ist es vielleicht schon wieder trocken. So war eben das Leben früher. Wir haben anders gelebt als heute.
Heute versuche ich von Deutschland aus meinem Land zu helfen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie bei der Veröffentlichung meines Interviews auch meine Telefonnummer angeben würden: 0211 - 2295812